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23.04.2013

Haushaltsrede von Harry Gohr zum Nachtragshaushalt

Es gilt das gesprochene Wort:

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren,

zuerst möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung und dem Rat für die Zusammenarbeit über sämtliche Grenzen hinweg bedanken.

Es freut mich auch, dass Sie, Herr Bürgermeister Freitag, der Sie nie einen Zweifel an Ihrer Ablehnung uns gegenüber gelassen haben, uns nun ausdrücklich anerkennen und einladen, diesem Nachtragshaushalt doch einmal zuzustimmen.

Die Einladung können wir natürlich nicht annehmen. Die Differenzen bleiben. Aber die Geste ist registriert.

Nach der langen Reihe von Kürzungshaushalten und dem Stärkungspakt sollen wir heute zusätzlich einem Nachtragshaushalt zustimmen. Nach all den bereits beschlossenen Belastungen, dem Leistungsabbau und der Verringerung von Personalaufwendungen, geht es erneut darum, die Ansätze des Haushalts zu korrigieren und fehlende Millionen auszugleichen. Das Rezept, das wir beschließen sollen, ist das gleiche, wie bei den zurückliegenden Beschlüssen. Weitere Belastungen der breiten Mehrheit der Bürger, der Beschäftigten der Stadt, der Rückbau sinnvoller Maßnahmen.

Unsere besondere Kritik richtet sich gegen die einseitige Lastenverteilung bei den Steuervorschlägen. Wir halten die Erhöhung der Grundsteuer B von 440 auf 550 Punkte bei gleichzeitiger erneuter Schonung der Gewerbesteuerpflichtigen für sehr ungerecht. Die Erhöhung der Grundsteuer B trifft Eigenheimbesitzer und Mieter, da die Steuererhöhungen von Vermietern weiter gegeben werden. Mit den gleichzeitig steigenden Energiekosten wird menschenwürdiges Wohnen für viele zum Problem.

Für die Zentralisierung von Stadtbibliothek, VHS und Musikschule wird das Konzept gerade erst in Auftrag gegeben. Trotzdem werden dafür schon feste Einsparungen eingeplant. Doppelt Sorgen macht uns dabei das fehlende Raumkonzept. Schließlich planen wir gerade eine neue Schule. Eine Sekundarschule immerhin, eine Gesamtschule wäre nötig. Das haben die Anmeldezahlen wieder einmal gezeigt. Schulen jedenfalls brauchen Räume. Dass die bei der Zentralisierung nicht plötzlich anders verplant werden, das hätten wir doch gerne Schwarz auf Weiß.
Aber all die fragwürdigen Kürzungsmaßnahmen sind ohnehin unnötig. Eine moderate Anhebung der seit 10 Jahren unveränderten Gewerbesteuer würde genug einbringen, um das neue Haushaltsloch zu schließen. Nach den Grausamkeiten der vergangenen Jahre ist es höchste Zeit, dass sich auch die Unternehmen mit ihren Gewinnen an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen.

Und an dieser Stelle muss ich Sie, Herr Freitag, einmal inhaltlich scharf kritisieren. Sie haben erklärt, die Gewerbesteuer sei praktisch eine reine Gewinnsteuer und würde deshalb Unternehmen das Kapital für Investitionen nehmen. Das ist Unfug. Denn das, was Unternehmen investieren, wird ja selbstverständlich mit den Einnahmen verrechnet. Erst das, was nach Abzug der Ausgaben und Abschreibungen übrig bleibt, ist Gewinn. Das wird auf die Hohe Kante gelegt oder ausgeschüttet, ganz nach dem Willen der Besitzer. Und davon können wir als Stadt unseren Anteil nehmen, ohne das Unternehmenswohl zu gefährden.

Was wir auch kritisieren ist, dass immer noch so getan wird, als könnten wir uns mit finanzieller Selbstbeschneidung und anderen kommunalen Mitteln am eigenen Schopf aus dem Haushaltsloch ziehen. Dass wir uns dabei die Haare ausreißen, sei leider unvermeidbar, weil wir ja als Stärkungspaktkommune unter so strengen Auflagen stehen.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie uns hier im Rat erzählt wurde, die Stärkungspaktmillionen gäbe es praktisch umsonst. Wir hätten schon soviel gekürzt, dass sich für Velbert durch die Auflagen keine weiteren Veränderungen ergeben würden. Dieser Haushalt wird nicht der Letzte sein, der das Gegenteil beweist. War das nicht absehbar? Es mag billig sein, heute darauf hinzuweisen, dass wir Recht damit hatten, diesen Pakt als einzige Fraktion abzulehnen.

Mit „Schuldenbremse”, „Stärkungspakt” und der fortlaufenden Umverteilung der Aufgaben und Kosten zu Lasten der Kommunen geben Bund und Land uns die Folgen ihrer eigenen Haushaltspolitik weiter.

Ich möchte daran erinnern, dass die Hälfte der Schulden, die der Bund zwischen 2000 und 2011 angehäuft hat, auf Steuererleichterungen für Reiche und Unternehmen zurückgehen. Dass zusätzlich 500 Milliarden für die Bankenrettungen bereitgestellt wurden. Dass seitdem weitere Milliarden in ESM und „Rettungspaketen" versenkt wurden, die letztendlich nur den Banken und Anlegern nutzen. Und da ist kein Ende abzusehen.

Während bundesweit mit Hartz IV, Rente mit 67 — wenn überhaupt — und vielen anderen Maßnahmen ein in der Geschichte vorbildloser Sozialraub stattfindet, und wir genötigt werden, uns als Stadt Velbert mit dem Rückbau kommunaler Leistungen daran zu beteiligen, jagt die Summe der Privatvermögen in Deutschland von Rekord zu Rekord. Denn wie jeder weiß, sind die Schulden des einen die Guthaben des anderen.

Deshalb sind wir in diesem Monat — nicht zum ersten Mal — auf die Straße gegangen um gemeinsam mit Sozial- und Jugendverbänden, Gewerkschaften, 3. Welt Initiativen, Globalisierungskritikern, Religionsgemeinschaften und vielen anderen, die sehen, dass hier etwas schief läuft, für eine fairere Verteilung einzutreten. Das Bündnis umFAIRteilen wird weitermachen, Sie werden noch von uns hören.

Die Erhöhung der Gewerbesteuer könnte, wie auch die Vermögenssteuer, deren Unterstützung dieser Rat leider abgelehnt hat, ein Beitrag dazu sein, das Gleichgewicht wieder herzustellen und den finanziellen Druck von der Stadt Velbert zu nehmen. Aber da begibt man sich doch lieber unter die Knute des sogenannten „Stärkungspaktes”.

Sehr geehrte Damen und Herren, an dem großen Bogen, den ich hier geschlagen habe, können Sie sehen, dass uns LINKEN nichts ferner liegt, als Kirchturmdenken. Und so wollen wir auch alle gerne Velberter sein. Deswegen sind wir sofort dabei, wenn der Bürgermeister uns auffordert, mehr Velbert zu wagen. Und wenn Sie, Herr Freitag, sagen: „Es geht darum, die Menschen vor Ort wieder dafür zu begeistern, sich an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen”, dann möchten wir als überzeugte Demokraten spontan aufstehen und applaudieren.

Was können wir tun, um dieses Ziel zu erreichen? Wie können wir die Identität als Velberter fördern und die Beteiligung der Bürger stärken? Aus dem Leben in Velbert und den Gesprächen mit Menschen in den Stadtteilen kann ich eines sagen. Es fällt vielen schwer genug, sich mit ihrer Siedlung zu identifizieren. Und zwar, weil das soziale Leben vor Ort austrocknet. Die Innenstädte sterben aus, die Angebote der Stadt werden ausgedünnt, der ÖPNV zurückgefahren. Viele Menschen kommen nur noch zum Schlafen her.

Der angebliche Gegensatz zwischen den Stadtteilen und dem Stadtzentrum, den die Stadtspitze aufmacht, tut der Sache erst recht keinen Gefallen. Wenn die Leute vor die Wahl gestellt werden, ob sie Langenberger, Nevigeser oder eben Velberter sind, eine Wahl zwischen gewachsener Heimat und abstraktem Gebilde, dann ist der Fall klar. Aber die Wahl ist unnötig. Jeder weiß doch, dass Neviges und Langenberg zu Velbert gehören.

Der Weg einer stärkeren Identifizierung mit unserer gemeinsamen Stadt Velbert führt nicht gegen, sondern nur über die lokalen Identitäten. Deswegen begrüßen wir auch ernsthaft den Vorschlag unseres Bürgermeisters, mehr Bezirksausschüsse einzurichten. Es ist ja schon auffällig, dass der BZA Velbert-Mitte, der für viel mehr Menschen zuständig ist, von weniger Bürgern besucht wird. Der Bezirk ist hier einfach zu groß, der Bezirksausschuss zu fern.

Die Politik muss zu den Menschen kommen, vor Ort ansprechbar sein. Die Bezirksausschüsse sind dabei auch deshalb ein wichtiger Baustein, weil hier Politiker aus dem Stadtteil selbst sitzen, die die Probleme aus eigenem Erleben kennen. Die Bezirksausschüsse müssen gestärkt und vielleicht ergänzt werden. Keinesfalls darf man sie abschaffen.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wir haben dieses Jahr darauf verzichtet, eigene Änderungsanträge einzubringen. Kosmetik an einzelnen Punkten lenkt in unseren Augen vom Wesentlichen ab. Wir sehen in den vorliegenden Änderungsvorschlägen durchaus diskussionswürdige Punkte. Unsere Devise heißt aber „UmFAIRteilen statt kaputt zu kürzen.”

Dem Nachtragshaushalt insgesamt können wir daher wie gesagt nicht zustimmen. Ich hoffe aber, dass ich mit meinen Ausführungen den einen oder anderen zum Nachdenken angeregt habe. Die nächsten Haushaltsberatungen sind ja schon im kommenden Herbst.

Ich Danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.